Meister Kazumi Tabata – ein Nachruf.

 

„Brouahahaha, go back learn more…and … I am really sorry I am always so negative, but with people like you I have no choice!“

So waren die aufmunternden Worte meines Karate Meisters Tabata Kazumi, als ich ihn das letzte Mal besuchte und ein paar Karatetechniken vorführte.

Zum Karate bin ich gekommen als Ausgleichssport am MIT. Da gab es einen Uni Club und erst einen Lehrer, Steve Hardt, bei dem ich die Anfänge lernte, und dann noch einen, Dave D’Amore, der höher im Rang war und mehr von uns forderte. Und dann war da ein mystisches Raunen, von einem gefährlichen Ort auf der anderen Seite des Charles River, wo man sich besser nur gut vorbereitet hintrauen sollte und nicht so ganz klar war, in welcher Verfassung man zurück kommen würde.

Diesen mystischen Ort, Meister Tabatas Dojo in Chinatown am östlichen Rand des Stadtzentrums, habe ich zum ersten Mal zu meiner ersten Gelbgurtprüfung betreten. Und kam mit einer gebrochenen Rippe zurück. (Und einem gelben Gurt.)

Danach traute ich mich erstmal Monate lang nicht hin, und als ich es tat, voll Furcht. Meister Tabata verbreitete Furcht, nicht so sehr, durch was er tat, auch nicht so sehr, durch was er sagte, aber durch seine Ausstrahlung. Äußerlich nicht groß gewachsen, schien er aus seinen Nähten zu platzen, mit Händen wie Dampframmen, mit seinen welligen schwarzen Haaren nicht unähnlich Diego Maradona und ein vergleichbares körperliches Biest. Wenn er im Dojo längs der Gruppe lief und Kommandos gab, klang es wie ein Engel mit einer Basstrompete und um ihn herum lag eine Aura der Bedrohlichkeit.

Allerdings eine weise Bedrohlichkeit. Meister Tabata hatte wenig von der schwülstigen Aggression vieler Kampfsportler. Dazu war er zu sehr aufgeklärter Samurai, zu leicht und zu geradlinig. Aber auch alles in sich darauf ausgerichtet, eine wohl kultivierte Tötungsmaschine zu werden.

Kultiviert war Meister Tabata sehr. Seine Kalligraphie war kraftvoll, und für die Bücher, die er schrieb, tauchte er tief in mittelalterliche Japanische Zen Schriften ein. Er hatte Literatur studiert an der Waseda Universität, wo er auch Kapitän des Karate Teams war.

Geboren war Meister Tabata ganz an der Südspitze Kyushu, der südlichsten japanischen Hauptinsel. Dort war die Macht der Zentralregierung nicht besonders groß und die Rolle des rebellischen Außenseiters, der Strukturen verachtete, blieb sein ganzes Leben an ihm haften.

Zugleich kamen von dort aber auch viel japanische Militärführer, in deren Tradition er sich immer sah.

An sein Zuhause band ihn nicht viel. Sein Vater hatte einen Gemüsegroßmarkt, wurde aber so sehr zum Alkoholiker, dass er gar nicht mehr merkte, wenn ihm die Hand in ein Feuer sank. Und so hielt ihn nicht viel, als die Japanische Karate Federation ihn, der mit 22 schon Großmeister gewesen war und alle Karate Koryphäen seiner Zeit im Kampf geschlagen hatte, 1968 nach Amerika schickte um Karate dahin zu exportieren.

Seinen Bildunginteressen folgend forderte er für sich den Nordosten mit den großen Universitäten und zog bald nach Boston. Dort bestritt er ein bluternste Schaukämpfe gegen Boxer, trainierte die Polizei und brachte bald auch einen Baseballstar der Red Sox nach dessen Verletzung wieder in Form. Dann war er etabliert und verbrachte die nächsten 15 Jahre damit, in einer gewaltigen Anstrengung Karatevereine aufzubauen. Jede Woche fuhr er nach New York zur Columbia University, nach Yale, nach Dartmouth und an alle großen Unis in Boston, um eine Karate Ivy League aufzubauen. Im Laufe der Zeit wurde die Organisation riesig, 3000 Mitglieder hatten NAKF und NECKC, ihr College Arm und regelmäßig richteten sie landesweite Meisterschaften aus. Tabata Sensei wurde auch USA National Coach und führte sein Team zu mehreren Weltmeistertiteln.

In den 80ern baute er sich dann ein kleines Geschäftsimperium auf und hatte mehrere japanische Restaurants in Downtown Boston und der Back Bay.

Bald nachdem ich ihn kennen gelernt hatte, verlor er dies aber alles ganz plötzlich wieder. Zum einen erstreckte sich seine antistaatliche Grundeinstellung eben auch auf Steuerzahlungen, was zu folgenschweren Meinungsverschiedenheiten mit dem Finanzamt führte. Zum anderen ereilte ihn das Schicksal in form eines Minderjährigen, der mit einer Fake Id in einem seiner Restaurants einen Cocktail bestellte und auf dem Nachhauseweg betrunken einen Menschen tot fuhr. Daraufhin wurde Tabata Sensei zu 17 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt, die er natürlich nicht hatte. Und so musste er aus seiner Villa am Meer ausziehen in der er immer einige Schüler beherbergt hatte, und fuhr nur noch in einem armseligen Toyota herum, statt des Luxusschlachtschiffs, das wir von ihm gewohnt waren.

Im Nachhinein sagte er, dass sei die Zeit gewesen, wo er das Loslassen gelernt hat und die ganzen Buddhistischen Schriften noch einmal ganz neu verstanden. Die meiste Zeit, die ich ihn kannte, war er arm wie eine Kirchenmaus.

Tabatas revolutionäre Grundhaltung machte es auch seiner Organisation schwer. Er verlor immer wieder Leute, die Strukturen aufbauen wollten und pflegen und dabei mit seinem unruhigen Geist an einander gerieten. 5 Jahre lang durfte ich es auch versuchen und die waren sehr lehrreich.

Zum einen war es für Tabata manchmal nicht so einfach, Kontexte zu trennen. Bei der Frage nach einem geeigneten Turnierdatum erst apodiktisch für das Frühjahr und fünf Minuten später lautstark für den Herbst zu argumentieren, schult zwar den Geist, sich nicht zu sehr an Inhalten festzuhalten und widersprich in ihrer befreiende Kraft zu erkennen, ist aber für die organisatorische Vorbereitung des Turniers nicht sehr förderlich.

Zum anderen kultivierte er eben die Unnahbarkeit des allwissenden Meisters. Grundsätzlich erklärte er nichts. Lernen bestand aus Schauen und Tun. Und ausgelacht werden mit seinem explosiven Lachen. Siehe oben.
Ich wurde immer bewundert von den anderen, weil er mir nach einer eigenen Aussage so viel mehr erklärt hat als anderen. Ich bin durchgegangen, wie häufig das war. In acht Jahren kam ich auf 5 mal.

Das Training war sehr intensiv, gleissend in seiner Anstrengung und rohen, männlichen Gewalt, emotional und körperlich.

Ihr wisst gar nicht, wie gut Ihr es habt mit mir. Tausend Tritte machen wir ja auch manchmal im Training, aber es ist schon noch was anderes, wenn man dabei einen anderen auf den Schultern trägt.

Manchmal versammelten wir uns nach dem Training bei ihm, schlugen uns mit selbst gestopftem Sushi die Bäuche voll und ruhten dann alle auf dem Boden aus. Das war sehr echte Erholung.

Nach acht Jahren intensiven Trainings war es an der Zeit zu gehen. Und als ich nicht schnell genug ging, setzte Tabata mich schlicht vor die Tür. Verbot mir, teilzunehmen am fortgeschrittenen Training und schickte mich weg. Go home, teach for yourself, you learn more.

Etwas eigenes zu machen, eigene Akzente zu finden im Training, hat mehrere Jahre gedauert. Zu groß war der Eindruck, den Meister Tabata in einem hinterließ, die Wucht seiner Persönlichkeit, der Sturm, den das Training entfachte, die lässig kultivierte Männlichkeit, die es schwer war, hinter sich zu lassen.

Ich hoffe, aber es ist mir einigermassen gut gelungen, auch in seinem Sinne.

Eines Jahres, mitten im Sommer fing Sensei von einem Tag auf den anderen an, Pausen im Training zu machen. Er konnte kaum noch gehen. Da fing die Gicht an, ihn zu plagen. Ohne Geld hatte er natürlich keine Krankenversicherung, es war ja schliesslich Amerika. Und so ging sie unbehandelt ins Land, lange Jahre lang, bis er alt genug wurde, ins Medicare System aufgenommen zu werden.

In den letzten Jahren ging es der NAKF ziemlich gut. Sie war nicht so groß wie früher, aber hatte wieder bedeutende Erfolge international.

Letztes Jahr war Tabata Sensei äußerlich in sehr guter Verfassung. Aber auch da muss schon angelegt gewesen sein, dass seine Nieren dieses Jahr ihren Dienst aufgeben würden. Im Oktober erhielt er die Nachricht, dass er nur noch mit Dialyse würde überleben können. In der ihm eigenen Art verweigerte er diese, bunkerte sich in seiner Wohnung ein und war für niemanden mehr erreichbar. Ende November fiel er in ein Koma und starb.

Das war für mich schon ziemlich hart. Tabata Sensei war für mich eine Art Ersatzvater in einer Zeit, in der ich sehr unsicher herumtastete, und sein Training der Ariadnefaden, der mich schließlich in eine andere Welt führen sollte. Im täglichen Leben spielte er nur noch eine kleine Rolle für mich, immer mal wieder haben wir telefoniert. Aber als tragende Säule im Hintergrund werde ich ihn vermissen. Im Training begegnet er Euch ständig, auch wenn Ihr das nicht merkt. Ich hoffe, es geht ihm gut.

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert