Gestern sind wir vom Karate Seminar aus Stolzenhagen zurück gekommen. Dort war es wie immer wunderschön und wir hatten sehr gute Bedingungen zum üben.
Die haben wir weidlich genutzt. Wie man dem Training in letzter Zeit ja vielleicht anmerkt, schraube ich gerade an seinen Fundamenten herum. In der Vergangenheit haben wir uns ganz darauf verlassen, den Körper so zu bearbeiten, dass er ganz weich wird und alle in ihn eingeschriebenen Gedanken loslassen muss. Ganz bewusst sind wir dabei jeder willentlichen Kontrolle aus dem Weg gegangen, und haben die Entscheidung, was aus uns herausgespült wird, ganz ihm selbst überlassen. Die Intensität der Katharsis war so immer groß, ihre Richtung aber unbestimmbar.
Das war in vieler Hinsicht sehr gut und richtig. Man muss aber auch vorsichtig sein, dass der Ansatz nicht zu einer ideologischen Falle wird und nur kaschiert, dass man sich an manche Auseinandersetzungen mit sich selbst nicht heran traut.
Drum haben wir in letzter Zeit und am Wochenende geübt, in sich einen Autonomieanspruch zu haben und auch in der Bewegung zu behalten. Den Anspruch dabei haben wir bewusst klein gehalten – irgendwo in unserem Kopf sein zu dürfen. da kann ja eigentlich niemand was dagegen haben. Ebenso dort sein wollen zu dürfen und dort sein zu wollen. Das sind ja alle keine großen Ansprüche. Dasselbe in unserer Brust. Und unserem Bauch. Und unserem Becken.
Aber eben jeweils nur in einem kleinen Teil davon. Es muss gar nicht alles entspannt und präsent sein. Gedanken, Gefühle, Druck, Leid, Last und Fixierung dürfen erstmal alle bleiben, wo sie waren.
Nur passieren dann zwei Dinge: Zum einen werden Anspannungen und Fremdkörper relativ gesehen viel kleiner, wenn wir sie von einer Warte innerer Daseinsberechtigung ansehen. Man steht dann nicht mehr in einem Tal und schaut riesige Berge an, sondern steht selbst auf einem Gipfel und schaut auf andere Gipfel. Der Umschwung ist viel größer als das Größenverhältnis zwischen autonomen und gefühlsbesetztem Bereich vermuten lässt. Das ist nicht besonders logisch, aber das Hirn funktioniert nun mal einfach so.
Zum anderen nimmt es unmerklich eine Verschiebung der Betonung vor, von in uns sein dürfen zu in uns sein dürfen. Wir müssen uns in einem Teil von uns nicht mehr beschäftigen mit den Zwängen und Gefühlen und Lasten und Fixierungen, die in uns toben. In unserem kleinen Raum können wir davon ablassen und einfach nur schauen. Wir können auf die Verdichtungen der Gefühlswelt gucken, müssen es aber nicht. Können also, wie es so schön heisst, die Gefühle anschauen aber nicht sie werden. Eine kleines Refugium, das sich nur nach uns anfühlt und in dem Ruhe herrscht, bleibt uns immer.
Dieses Refugium bleibt ganz entspannt. So weich und entspannt, dass es zu Gefühlsanstrengungen und Verdichtungen gar nicht in der Lage ist. Es ist einfach nur und kann unsere Präsenz kaum filtern, verzerren oder verbergen. Unsere Präsenz tritt in ihm klar zutage und ist von außen leicht wahrzunehmen. Wir werden sehr klar.
Dies hat nun bedeutende Auswirkungen auf unser Verhältnis zur Außenwelt. Jeder Mensch hat Spiegelneuronen in sich, die ihm intuitive Anpassung an das Innenleben des Gegenübers ermöglichen. Wer entspannt ist, hat eine beruhigende Wirkung auf seine Umwelt, wer angespannt ist die umgekehrte, aggressive Leute lösen Angst aus, freundliche Vertrauen, etc.
Die Signalwirkung der Präsenz ist umso größer, je klarer sie ist. Wenn es uns gelingt, sie in Bewegung zu versetzen, ohne sie zu verzerren oder anzuspannen, ist ihr Signal vom Gegenüber am leichtesten wahrzunehmen und entfaltet über die Spiegelneuronen ihre größte Wirkung.
Und so kommt es, dass nicht die größte Kraftanstrengung den größten Effekt hat, sondern die klarste Bewegung. Wenn wir es schaffen, den weichen, präsenten Teil, der zu schwach ist, sich anzuspannen, zu bewahren und wenn seine Bewegung als klares Signal unserer Präsenz nach außen geht, lädt es die Umwelt zum mitmachen ein. Dann können wir ohne Kraft werfen und unsere Schläge ohne Anstrengung platzieren. Der andere macht mit, nicht aus rationaler Entscheidung, sondern weil er intuitiv dem Signal unserer Präsenz folgt. Je klarer das ist, je mehr wir ablassen können von Verirrung und Verzerrung, desto klarer die Wirkung auf die Umwelt.
Die Kunst des Loslassen wird so auch zu einer Kunst des Bewahrens. Sich immer wieder zurück zu bringen in den Zustand innerer Präsenz ist gerade in Konfrontation mit den Anstrengungen eigener Bewegung oder gar eines Kampfes unerlässlich. Es wird aber viel einfacher, wenn man versteht, dass man gar nicht den großen Schritt in einem gehen muss, sondern nur den kleinen, der das ursprüngliche Autonomierecht etabliert.
Es gibt viel zu tun…!
Gehen wir’s an.